Den Spruch kennen Sie vielleicht aus der Werbung – die gute Kosmetik, etwas teurer, als Sie eigentlich wollen – Sie nehmen sie doch – weil Sie es sich wert sind!
Wirklich? Was sind Sie sich eigentlich wert? Wieviel Selbstwert haben Sie so? Wieviel Selbstwert leisten Sie sich? Gönnen Sie sich? Diese Fragen und auch das Thema Selbstwert an sich sind bei mir in der Praxis immer wieder aufgetaucht. Tatsächlich haben also eigentlich meine Patientinnen das Thema auf den Tisch gebracht.
Bei vielen hat sich herausgestellt, dass es mit ihrem Selbstwert nicht weit her ist. Dass er ihnen fehlt. Dass da ein Mangel ist. Und auf die Frage: würden Sie etwas verändern, würde es etwas ausmachen, wenn Sie mehr davon hätten, haben – fast – alle gesagt: ja, das würde es. Es würde etwas verändern. An innerer Stärke, an Bereitschaft, sich zu verändern, etwas zu ändern….
Wofür braucht man eigentlich Selbstwert ?
Bei vielen seelischen Krisen merkt man, dass er irgendwie fehlt – in der Beziehung läuft es nicht, einer trennt sich – bin ich nicht wertvoll genug? Hat sie mich deshalb verlassen? Oder in depressiven Phasen – werde ich je stark genug sein, um etwas zu verändern? Werde ich jemals so sein, wie Vater das wollte? Bei der Suche nach Gründen für das Leiden – mich hat nie jemand wirklich geliebt – ich bin es nicht wert. Oder bei denjenigen, die sich nur über ‚Arbeit und Erfolge definieren – ich möchte einmal angenommen werden, wie ich bin – ohne was zu leisten…. aber das geht ja nicht…. Oder auch– bin ich schön genug? Dünn genug? Sexy genug? Oder: Ich krieg nichts hin – andere schaffen das doch – warum ich nicht? Oder: Nie kriege ich, was ich brauche – keine Frau/Mann wird sich jemals für mich interessieren. Ich werde nie wieder Arbeit finden…
Das sind einige Szenarien, bei denen es an Selbstwert fehlt –bzw. ein höherer Selbstwert zu ganz anderen Einschätzungen von sich selbst, der Situation und den Menschen um einen herum führen würde. Deshalb – einen Schritt zurück – was ist das eigentlich, Selbstwert? Woraus setzt der sich zusammen?
Die Bausteine des Selbstwertes – erstmal kurz
Da ist zum einen die Akzeptanz des eigenen Selbst – auch mit Defiziten und Mängeln - also mit sich im Lot sein. Sich akzeptieren. Das bedeutet auch, mit sich freundlich und mit Mitgefühl umzugehen, etwas, was viele Menschen leider nicht tun.
Da ist zum zweiten das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, etwas bewirken zu können. Also die eigene Kraft einzusetzen, um Ziele erreichen zu können. Die Selbstwirksamkeit, aus der Selbstsicherheit kommt.
Und da ist das Wissen um die Bedeutung von Beziehungen. In der Lage zu sein, vertrauensvolle Beziehungen eingehen zu können mit Menschen, die für einen wichtig sind. Wir sind soziale Wesen – und die Art der Kommunikation und die Gefühle füreinander spielen eine wichtige Rolle.
Bindungsfähigkeit – das Fundament des Selbstwertes –
Nach meiner Erfahrung ist tatsächlich der wichtigste Baustein die Erfahrung von Bindung. Das ist sozusagen der Boden, auf dem die anderen Bausteine aufbauen. Die Erfahrung, beim Aufwachsen von den wichtigsten Bezugs-personen geliebt und beschützt zu werden. Die Wahrnehmung, ich werde gesehen, meine Bedürfnisse spielen eine Rolle, mein Umfeld reagiert darauf und ist verlässlich. Die Schlussfolgerung: Ich kann anderen vertrauen.
Wer diese Erfahrung hat, dieses Wissen, geliebt zu werden um seiner selbst willen, ohne etwas leisten zu müssen, geschützt zu werden, weil man schützenswert ist – das ist ein Pfund, das nie weniger wird und das uns das ganze Leben über hilft.
Was aber – wenn wir das nicht bekommen haben? Oder nicht genug bekommen haben? Oder nur gegen bestimmte Leistungen oder Haltungen und Verbiegungen oder Verleugnungen der eigenen Wünsche und der eigenen Individualität bekommen haben? Oder wenn wir gar misshandelt, abgelehnt oder vernachlässigt wurden?
Das macht es schwierig. Denn die Sehnsucht danach, endlich so angenommen zu werden, wie man ist, ohne Vorbedingungen, die kann massive psychische Probleme verursachen. Und das kann zu einem Zeitpunkt passieren, in dem irgendeine geringfügigere Problematik auftaucht – die triggert diese negative Erfahrung, reißt diese Wunde wieder auf und wir geraten ins Schleudern, in eine Krise.
Natürlich können wir die Zeit nicht zurückdrehen, um endlich die Kindheit zu haben, die uns mit dem Schutz der gelungenen Bindung versieht. Oft helfen uns andere Menschen– mit ihrer Zuneigung, ihrer Liebe. Was aber, wenn die uns verlassen – warum auch immer?
Da hilft nur eines – sich selbst zu geben, was man so verdient hätte – wie jedes Kind und jeder Mensch. Das hört sich leicht an, ist aber sehr schwierig und vor allem für viele Menschen total ungewohnt. Mit sich freundlich umzugehen und nicht alles kritisch zusehen – das ist vielen Menschen fremd.
Sich selbst Zuwendung zu geben. Sich selbst zu akzeptieren. Die eigenen Fehler zu sehen und sich nicht zu verurteilen, sondern es nochmal versuchen, es vielleicht beim nächsten Mal anders angehen. Sich nicht runterputzen, wenn etwas nicht funktioniert hat, man nicht erfolgreich war. Dann könnte man einfach mal nett zu sich sein und sagen: Das war aber auch schwierig, du hast es versucht, hat wieder nicht geklappt, arme Socke… Also sich selbst Mitgefühl entgegenbringen. Freundlichkeit. Nachsicht. Aufmunterung. Trost.
Selbstwirksamkeit. – Selbstvertrauen – der nächste Baustein für den Selbstwert
Da geht es um die Erfahrung, Ziele erreichen zu können, wenn wir unsere Fähigkeiten nutzen und einsetzen. Dazu gehört auch das Wissen, lernfähig zu sein, die eigenen Möglichkeiten erweitern zu können, um das anzupacken, was wir uns wünschen. Uns wichtig nehmen und unsere Ziele auch – und sich einzusetzen, um Veränderungen leben zu können.
Akzeptanz des eigenen Selbst – ja auch das gehört dazu!
Das bedeutet, sich der eigenen Schwächen und Defizite bewusst zu sein und dennoch sich zu bejahen. Das Wissen, dass alle Menschen einzigartig sind, dass es niemanden gibt, der genau so ist wie man selbst – und dass man im Großen und Ganzen ok ist. Dass man auch negative Gedanken haben Fehler machen kann, dass man nicht perfekt ist – aber im Grunde fühlt man sich in Ordnung, so wie man ist. Und das ist nicht so leicht.
Die Selbstwerträuber: der innere Richter, der Schweinehund, der Ja-Sager, die Opferrolle – und wie man mit sie entmachten kann
Eine der wichtigsten Figuren in unserem inneren System, ein Selbstwerträuber der Spitzenklasse, der uns immer wieder ein Bein stellt – das ist der innere Richter. Der uns ständig in den Ohren liegt, dass wir nicht gut genug, nicht schlau genug, nicht attraktiv genug, nicht reich genug, nicht erfolgreich genug…. usw. sind. Der innere Richter ist die Stimme, die auch nicht den kleinsten Fehler toleriert, die ständige Pflichterfüllung im Programm hat, Perfektion verlangt, jede Selbstfürsorge als Schwäche ablehnt. Er sieht ständig Katastrophen, generalisiert, sieht nur schwarz oder weiß, alles oder nichts.
Sein Assistent ist der Perfektionist. Die beiden zusammen können einen
total lähmen
Da macht es Sinn, den beiden auf die Spur zu kommen. Denn leider stärken die Sie nicht, die schwächen Sie nur. Enttarnen Sie die – und stellen Sie ihnen einen liebevollen Begleiter entgegen. Lernen Sie zum Beispiel, sich auch mal mit Schwächeren zu vergleichen und nicht immer mit den absoluten Stars in Sachen Kompetenz, Attraktivität, Erfolg etc. Das hilft, vom Absolutismus Abschied zu nehmen….
Dann gibt es den inneren Schweinehund – der uns gar nicht erst in Aktion treten lässt und damit unsere Selbstwirksamkeit leugnet. Der hat immer eine Ausrede auf Lager, warum Sie nicht und vor allem nicht dafür aktiv werden sollten – leider mit dem Effekt, dass Sie an Ihrer Fähigkeit zur Veränderung immer mehr zweifeln. Wenn der Schweinehund sich durchsetzt, dann trauen Sie sich immer weniger zu. Nehmen Sie ihn mit auf den Weg, zeigen Sie ihm, dass es Alternativen zum Sofa gibt. Gönnen Sie ihm sozusagen eine Fortbildung.
Der Ja-Sager in Ihrem System – auch den kennen einige. Denn der meint, wenn Sie nein sagen und Grenzen setzen, werden Sie verstoßen. Gehören nicht mehr dazu. Man wird Sie nicht mehr mögen, Sie werden als schwach gesehen oder als unsympathisch. Sie werden als einer gesehen, der es nicht schafft – das meint der Ja -Sager.
Da hilft es zu lernen, Nein zu sagen. Darum zu wissen, dass die eigenen Kräfte endlich sind. Dass es auch Dinge gibt, die an Sie ran getragen werden und die Sie gar nicht wollen, die für Sie schlecht sind, die jetzt gar nicht passen und die Ihnen gegen den Strich gehen.
Nein sagen kann man trainieren, und zwar nein sagen in freundlicher Form aber bestimmt. Das hilft Ihnen, sich auf sich zu besinnen. Und zeigt den Anderen, wo die Grenzen sind.
Und last but not least – die Opferrolle. Klar, Sie haben Schwieriges erlebt und erlitten in Ihrem Leben – aber in der Opferrolle stecken zu bleiben, lässt Sie einfach verkümmern. Wenn immer die anderen, das Schicksal, die Gene, die Kindheit, die Oma, die Kollegen, die Chefs schuld sind- dann werden Sie sich immer nur als Opfer sehen, und Ihr Leben als eine Zeit unverschuldeten Leidens. Ein Jammertal halt.
Weil das so war und die so sind, geht es Ihnen einfach schlecht. Kann man machen, muss man aber nicht. Wenn ein Mensch zu Ihnen hinterhältig war und bösartig, heißt es nicht, dass alle Menschen eben einfach immer zu Ihnen hinterhältig und bösartig sind, dass das Ihr Schicksal ist. Dass Sie halt ein Lamm sind, das zur Schlachtbank geführt wird. . dass die anderen die Macht über Sie haben.
Auch da hilft, sich klar zu werden, wie die Situation tatsächlich ist. Was könnten Sie verändern, wovon müssen Sie sich trennen, was können Sie dem entgegensetzen? Wo gab es andere Erfahrungen – die gibt es übrigens immer? Wieso sind Sie bereit, anderen Macht über sich einzuräumen – und darunter zu leiden? Sind Sie bereit, für Ihr Leben die Verantwortung zu übernehmen? Sind Sie bereit etwas – sich – zu verändern? Was würden Sie gewinnen?
Das sind nur einige der Fragen, die bei mir in Praxis aufgetaucht sind.
Ihnen allen wünsche ich, dass Sie freundlich zu sich sind, zuversichtlich was Ihre Ziele angeht, sich akzeptieren so wie Sie sind und beziehungsfähig sind – einfach - weil Sie es sich wert sind.
Désirée B. Bethge M.A.
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